Digitale S-Bahn Hamburg

Unter dem Projektnamen „Digitale S-Bahn Hamburg“ wurde bis Oktober 2021 auf dem Streckenabschnitt Berliner Tor – Aumühle der Linien S21 und S2 ein automatischer Betrieb über das neue europäische Zugsicherungssystem ETCS realisiert („ATO over ETCS“). Seit dem 29. August 2022 verkehren die digitalen S-Bahnzüge auf der Linie S2 mit Fahrgästen.

Auf dieser Seite informieren wir über:

Das Thema ETCS ist durchaus anspruchsvoll, diese Seite kann nur einen vereinfachten Überblick über die Materie geben.

Die Digitale S-Bahn im Überblick

Für den ITS-Weltkongresses im Oktober 2021 wurde die etwa 23 Kilometer lange S-Bahnstrecke zwischen Berliner Tor und Aumühle als Teststrecke für einen automatischen Betrieb über ETCS Level 2 (ETCS L2mS) ausgerüstet. Dieser Streckenabschnitt soll als Blaupause für künftige Digitalisierungen bestehender Strecken dienen. Die Projektkosten von insgesamt 60 Millionen Euro teilten sich die Stadt Hamburg, die DB und Siemens.

Für die Erprobung sind zunächst vier Kurzzüge der Baureihe 474.2 von Siemens mit ETCS (BL3R2) und ATO ausgestattet worden. Nach der erforderlichen Zulassung werden diese als Baureihe 474.4 bezeichnet. Der ursprünglich für Dezember 2021 angekündigte Start des regulären Fahrgastbetriebes auf der Linie S2 wurde mehrfach verschoben, ehe es Ende August 2022 so weit war.

Die beim ITS-Kongress vorgestellte „vollautomatische Rangierfahrt“ ist nicht Bestandteil dieser Ausrüstung. Das ebenfalls beim ITS-Kongress vorgestellte Projekt Sensors4Rail gehört zwar auch zum Projekt Digitale Schiene Deutschland, hat aber mit ETCS und ATO nichts zu tun.

Da bislang nur vier Fahrzeuge ausgerüstet sind, findet auf der Strecke ein Mischbetrieb mit den nicht digitalisierten Zügen statt. Die für die konventionellen Fahrzeuge erforderlichen Lichtsignale werden bei der Annäherung ETCS-geführter Züge dunkelgeschaltet, außer wenn das Signal „Halt“ zeigt. Auch wenn der Zug quasi ohne die ortsfesten Signale auskommt ist nicht von ETCS Level 2 ohne Signale (kurz ETCS L2oS) die Rede, sondern entsprechend von Level 2 mit Signalen (ETCS L2mS).

Zusätzlich werden für den ETCS-Betrieb blaue Signaltafeln mit gelben Pfeilen, sogenannte Ne14 („ETCS-Halttafel“) aufgestellt. Diese sind jedoch nur im Störfall zu beachten und übernehmen im ETCS-Modus SR („Staff Responsible“) die Funktion eines Halt zeigenden Signals, vor dem der Zug anzuhalten hat. Eine Verdichtung der Signalblöcke zur Steigerung der Streckenkapazität ist bislang nicht erfolgt. Die durch Ne14-Signale abgegrenzten ETCS-Streckenblöcke entsprechen den Blöcken der konventionellen Zugsicherung.

Ziele des Projekts

Die Machbarkeitsuntersuchung hinsichtlich eines Rollouts auf das Netz der Hamburger Gleichstrom-S-Bahn kommt zum Ergebnis, dass die Kapazität auf der bestehenden Infrastruktur um 30% angehoben werden könne. 40% der Folgeverspätungen könnten künftig vermieden und die 3 Minuten-Pünktlichkeit mit ATO over ECTS um 5% gesteigert werden. Nicht zuletzt sei der ATO-Betrieb energieeffizienter.

Perspektivisch soll ein ETCS-Betrieb ohne Signale erreicht werden, hier würden dann zusätzlich die Instandhaltungskosten für die bestehenden Signalanlagen entfallen und die Betriebskosten sinken.

Die technische Umsetzung

Für den ETCS-Betrieb wurde ab 2019 die Strecke im laufenden Betrieb mit Balisen ausgerüstet, welche zur Ortung und teils zur Übermittlung von Datenpaketen dienen. Die Informationen werden vom Zug per Funk (derzeit per GSM-R, allerdings getrennt vom GSM-R-Zugfunk) an die ETCS-Streckenzentrale im Stellwerk Bergedorf (RBC, „Radio Block Centre“) übertragen. Eine Hochrüstung ist nur an Strecken möglich, die an ein Elektronisches Stellwerk (ESTW) oder an ein Digitales Stellwerk (DSTW) angeschlossen sind.

Vom Hamburger Hauptbahnhof kommende Züge der Linien S2 bzw. S21 kommen im S-Bahnhof Berliner Tor mit den ersten ETCS-Balisen in Kontakt, welche den Levelwechsel in ETCS Level 2 anstoßen. Diesen stellen wir im Folgenden in vereinfachter Form dar:

Am Bahnsteig Berliner Tor befindet sich zwischen dem Kurzzug- und Vollzughalt ein Datenpunkt zur Netzeinwahl und zum Funkaufbau mit dem RBC. Durch diese Position kann bereits die Zeit des Fahrgastwechsels genutzt werden. Diese Kombination aus Datenpunkt zur Netzeinwahl und zum Funkaufbau ist zugleich eine Besonderheit gegenüber bisherigen ETCS-Projekten, wie z.B. der VDE 8: Bei der Fernbahn werden hierfür zwei einzelne Balisen im Abstand mehrerer Kilometer verbaut. Nachdem die Verbindung zur ETCS-Streckenzentrale in Bergedorf erfolgreich hergestellt wurde, werden die Züge dann zwischen Berliner Tor und Rothenburgsort in ETCS Level 2 aufgenommen, etwa auf halber Strecke am Signal Sbk 807.

Wenige Sekunden später ist der ATO-Betrieb verfügbar. Dieser wird vom Triebfahrzeugführer per Knopfdruck aktiviert. Im ATO-Betrieb beschleunigt und bremst der Zug selbstständig, auch erfordert der Fahrgastwechsel an den Stationen keine Bedienhandlungen des Triebfahrzeugführers. Von Rothenburgsort stadteinwärts fahrende Züge wechseln noch vor dem Bahnhof Berliner Tor wieder auf die konventionelle punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) zurück.

Die vier Probefahrzeuge der Baureihe 474.2 (Triebzüge 4046, 4047, 4048, 4051) wurden in den Jahren 2019 und 2020 im DB-Werk Neumünster und S-Bahn-Instandhaltungswerk Ohlsdorf mit den nötigen zusätzlichen Fahrzeugkomponenten, wie den Balisenantennen, aber auch den ETCS- und ATO-Fahrzeuggeräten ausgestattet. Außerdem wurde im Führerstand anstelle des Tachos ein Display für den ETCS-Betrieb eingebaut. Die Ausrüstung erfolgte durch die Firma Siemens (ETCS Trainguard 200).

Bei den hochgerüsteten Fahrzeugen läuft die Zugsicherung grundsätzlich immer über das ETCS-Fahrzeuggerät. Als sogenannte National Train Control (kurz NTC) ist die PZB „on top“ installiert, nicht etwa ETCS als „Extra“ zur PZB. Das Fahrzeug wechselt also letztlich immer vom Level NTC PZB in Level 2 und umgekehrt.

Abnahmefahrten mit dem Siemens Trainguard (642 300 / 642 800), 16.08.2020

474 047 vor Beginn nächtlicher Probefahrten in Bergedorf, 20.11.2020

Bei ETCS Level 2 kommunizieren das ETCS-Fahrzeuggerät und die ETCS-Streckenzentrale (RBC) kontinuierlich miteinander. Der Zug erhält eine Fahrterlaubnis (MA, Movement Authority) bis zu einem definierten Punkt, der dem Triebfahrzeugführer angezeigt wird. Das RBC fungiert als Bindeglied zum ESTW oder DSTW und ist in ein DSTW direkt integrierbar. Der Fahrweg wird weiterhin durch das Stellwerk überwacht.

Gerade bei Fahrten auf Halt zeigende Signale ist ETCS gegenüber der bislang verwendeten PZB im Vorteil. Das zeigt folgendes Beispiel: Ein Zug fährt auf Halt zu und kommt zum Stehen, ehe das Signal einen Fahrtbegriff zeigt. Auch wenn das Signal nun einen Fahrtbegriff zeigt, muss der PZB-gesicherte Zug aufgrund der restriktiven Beeinflussung der PZB noch bis zum Ende dieser mit reduzierter Geschwindigkeit fahren. Ein ETCS-Zug würde eine neue Movement Authority erhalten und könnte sofort ohne Einschränkungen auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschleunigen.

Das ETCS-Display im Überblick: Der Zug fährt im ATO-Modus mit derzeit 64 km/h. Er darf hier maximal 90 km/h schnell fahren. Die Movement Authority endet in 1380m (linker Balken). Unter dem Tacho befindet sich die Statusanzeige für Level 2 und die bestehende Verbindung zum RBC. Die Betriebsart ist FS (Full Supervision). Auf der rechten Hälfte („Planning Area“) werden Geschwindigkeitswechsel, Stromlücken, das Streckenprofil sowie die Stationen und mit gelben Linien Bremseinsatzpunkte angezeigt.

Über ETCS wird auch die Geschwindigkeit des Zuges überwacht: Aus dem Ende der Movement Authority oder herannahenden Geschwindigkeitsbegrenzungen rechnet sich der ECTS-Fahrzeuggerät dann eine Bremskurve aus. Das Fahrzeug könnte nötigenfalls eine Zwangsbetriebs- (wirkt bis Unterschreiten der zulässigen Geschwindigkeit) oder Zwangsbremsung (wirkt bis Stillstand) auslösen.

Auf dieser Basis und mithilfe der Fahrplandaten kann sich die ATO-Zentrale nun ein Fahrprofil ausrechnen, auf welche Geschwindigkeit der Zug beschleunigen muss, um pünktlich an der nächsten Station anzukommen. Über das öffentliche LTE-Netz werden diese Daten an das ATO-Fahrzeuggerät gesendet, der Zug bremst dann innerhalb der vom ETCS vorgegebenen Bremskurven selbstständig ab und beschleunigt anschließend wieder, ohne dass der Triebfahrzeugführer eingreifen muss. Dieser hat trotz aller Automatisierung weiterhin jederzeit die Möglichkeit, im Notfall einzugreifen.

Ebenfalls aus den Fahrplandaten weiß der S-Bahnzug, auf welcher Seite er die Türen freizugeben hat. Um auch den Fahrgastwechsel selbst automatisieren zu können, wurden die Türen mit Lichtschranken ausgestattet. Sie schließen selbstständig – wie bereits bei der Baureihe 490. Zur genaueren Ortung des Zuges befinden sich im Bahnsteigbereich ca. alle 51 Meter Ortungsbalisen.

Der ATO-Betrieb wird derzeit noch über das öffentliche LTE-Netz abgewickelt. Perspektivisch sollen sowohl ETCS als auch ATO über den neuen 5G-basierten Funkstandard FRMCS („Future Railway Mobile Communication“) realisiert werden. Dieser wird allerdings erst in einigen Jahren verfügbar sein.

Die Baureihe 474.4 erhielt ihre Zulassung für den Fahrgastverkehr am 8. Oktober 2021. Sie erlaubt nur den Betrieb als Vollzug, nicht jedoch als Langzug. Die Züge der Baureihe 474.4 sind abwärtskompatibel und können mit den übrigen PZB-Zügen gekuppelt werden – nur ist dann möglicherweise der ETCS/ATO-Betrieb nicht verfügbar. Im Regelbetrieb fahren die Züge in der Regel in festen Paaren: 4046 mit 4047 (beide rot) und 4048 mit 4051 (beide weiß beklebt).

Vorstellung beim ITS-Kongress

Beim ITS-Kongress vom 11. bis 14.Oktober 2021 wurde der automatische Betrieb sowohl den Fachbesuchern, als auch am Public Day interessierten Bürgern vorgestellt. In diesem Rahmen wurden die Triebzüge 4048 und 4051 mit einer speziellen Werbebeklebung der Digitalen S-Bahn versehen. Ein Bereich des Mittelwagens des Triebzugs 4051 wurde als Ideenzug umgebaut und mit modernen zusätzlichen Fahrgastinformationssystemen ausgestattet.

474 048 in Allermöhe

„Ideenzug“-Abteil im Wagen 874 051

Beginn des regulären Betriebs

Der reguläre Fahrgastbetrieb sollte zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 starten. Pandemiebedingt konnten die Schulungsmaßnahmen nicht wie geplant abgeschlossen werden, weshalb der Start auf März 2022 verschoben wurde. Schließlich begann der Fahrgastbetrieb des unbeklebten Vollzugs 4046/4047 am 29. August 2022 auf der Linie S2. Der weiß beklebte Vollzug 4048/4051 (mit Ideenzug-Abteil) kommt erst seit dem 17. November 2022 auf der Linie S2 zum Einsatz.

Ausblick

Die in Auftrag gegebene Machbarkeitsuntersuchung kommt zum Ergebnis, dass ein Rollout von ETCS Level 2 ohne Signale mit ATO ab 2025 (so die Aufgabenstellung) technisch machbar ist. Dabei wurden Kosten von ca. 623 Millionen Euro für die Aufrüstung der Streckenausrüstung sowie 175 Millionen Euro für die Ausrüstung aller 108 fehlenden Fahrzeuge der Baureihe 474 sowie 82 Fahrzeuge der Baureihe 490 veranschlagt.

Aktuell kann davon ausgegangen werden, dass neben den Fahrzeugen der Baureihe 490 nur die zweite Bauserie der Baureihe 474 mit ETCS und ATO ausgerüstet werden soll. Hintergrund ist, dass der aktuelle Verkehrsvertrag und somit auch die geplante Einsatzzeit der Baureihe 474 im Dezember 2033 ausläuft, und eine Zulassung bereits vorliegt. Die anderen beiden Bauserien müssten noch einmal separat den Zulassungsprozess durchlaufen – was zusätzliche Kosten verursacht und seine Zeit benötigt. Maßgeblich ist hier also letztlich das Tempo der Digitalisierung.

Mit den dann im ersten Schritt 25 digitalisierten Zügen könnten auf allen Umläufen der Linie S2 ETCS-Züge eingesetzt werden. Einen Termin für ein flächendeckendes Rollout von ETCS und ATO gibt es derzeit nicht. Ab 2025 liefert Alstom noch einmal 64 weitere Fahrzeuge der Baureihe 490, welche ab Werk mit eigenen ETCS und ATO-Lösungen ausgerüstet werden.

Neben der Fahrzeughochrüstung muss auch die Stellwerkstechnik grundlegend erneuert werden. Das Digitale Stellwerk City soll die Relaisstellwerke Hauptbahnhof und Altona der S-Bahn ersetzen, die Finanzierung hierfür steht seit Mitte Juni 2022. Nun starten die Planungen, damit ein Baubeginn im Jahr 2027 und eine Inbetriebnahme im Jahr 2029 erfolgen kann.

Etwas weiter ist das neue ESTW Ohlsdorf. Dabei wird das bestehende Stellwerk erweitert, sodass künftig der Bereich Airport/Poppenbüttel – Berliner Tor (später inkl. S4 bis Ahrensburg-Gartenholz) aus Ohlsdorf gesteuert wird. Die Erweiterung befindet sich im Frühjahr 2022 bereits in Bau. Ebenfalls projektiert ist ein Elektronisches Stellwerk in Wedel (Wedel – Altona).

Die Machbarkeitsuntersuchung empfahl ein Rollout beginnend mit dem ESTW Ohlsdorf. Der Abschnitt Ohlsdorf – Poppenbüttel könnte ab 2025 als Test- und Erprobungsstrecke zur Verfügung stehen und als Startpunkt für einen netzweiten ETCS/ATO-Rollout dienen. Andere Streckenabschnitte seien als Startpunkt für die Migration zwar vorstellbar, aber risikobehaftet.

Aktuelle Fahrzeiten der Baureihe 474.4

Derzeit verkehren die digitalen S-Bahnen nur montags bis freitags auf der Linie S2. Der Einsatz ist nur zu folgenden Zeiten möglich, nicht immer sind beide Züge auch im Einsatz. Bei Bauarbeiten ist ein abweichender Einsatz oder Ausfall aller Fahrten möglich.

..S2.. Bergedorf -> Altona (Mo-Fr)

..S2.. Altona -> Bergedorf (Mo-Fr)

Letzte Aktualisierung: 05.01.2024