Der Koalitionsvertrag im Überblick

Am Donnerstagmittag wurde er vorgestellt: Der Koalitionsvertrag von SPD und GRÜNEN für die nächsten fünf Jahre. DT5 Online wirft einen Blick auf die Projekte im Verkehrssektor, die laufen, bevorstehen oder jedenfalls geprüft werden sollen. Die Verkehrsbehörde bleibt in der Hand der GRÜNEN, der nächste Verkehrssenator ist auch der bisherige: Anjes Tjarks (Titelbild).

Im Koalitionsvertrag wird die Stadt Hamburg als moderne Zukunftsmetropole mit einem intelligenten, multimodalen Verkehrsmix dargestellt. Neben einer Förderung des Umweltverbunds (ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr, On Demand- und Sharing-Systeme) soll das Auto seinen Platz behalten.

An gleich mehreren Stellen im Koalitionsvertrag soll die Verkehrsmittelwahl bei Ausbauten neutral bewertet werden – ein Einfallstür für ein Revival der Stadtbahnplanungen? Von einem klaren „Nein“ zu einer Stadtbahn hat man sich ja bereits entfernt. Dagegen wird an keiner Stelle das Projekt Verbindungsbahnentlastungstunnel erwähnt. Zwar handelt es sich vorrangig um ein Bundesprojekt – doch werden auch diese an verschiedenen Stellen mit benannt. Ein Zeichen, dass die neue (und alte) Koalition nicht hinter dem Projekt steht?

Stärkung des Umweltverbundes mit dem Hamburg-Takt

Der Anteil der Wege im Umweltverbund soll auf 80% angehoben werden. Dafür sei der Hamburg-Takt im ÖPNV das Fundament – jeder Bürger soll innerhalb von 5 Minuten Zugang zu einem ÖPNV-Angebot haben. Mit dem autonomen Fahren soll der Hamburg-Takt auf die nächste Ebene gehoben werden. Die Stadt werde für die Umsetzung der ambitionierten Schritte und Ziele auch auf die Nutzung von Bundesmitteln angewiesen sein.

Als größtes Potenzial heben die Parteien den Ausbau des U- und S-Bahnnetzes sowie des Regionalverkehrs hervor. In den nächsten 20 Jahren sollen mehr als 30 neue Bahnhöfe in Hamburg gebaut werden. Die DB InfraGO plane die Modernisierung von 17 Stationen. An diesen Stationen sollen auch die Anschlussmobilität optimiert und die Umfeldgestaltung verbessert werden.

In der neuen Legislaturperiode soll Ende 2027 die U4 in Richtung Horner Geest in Betrieb genommen werden. Parallel soll der Weiterbau der U4 in Richtung Grasbrook (Haltestelle Moldauhafen) / Wilhelmsburg begonnen werden. Es solle geprüft werden, „wie und mit welchem Verkehrssystem“ der ÖPNV in Richtung Süden weiterentwickelt werden kann. – Eine Chance für die Stadtbahn? Eine ergebnisoffene Untersuchung – ausdrücklich inklusive dem Verkehrsmittel Stadtbahn – läuft bereits.

Ab 2027 soll außerdem schrittweise die S4 in Betrieb genommen werden und Wandsbek, Tonndorf und Rahlstedt an das Hamburger (Gleichstom-)S-Bahn-Netz angebunden werden. Mit der Elektrifizierung der AKN-Strecke nach Kaltenkirchen bis 2028 erhalten Eidelstedt und Schnelsen ihren S-Bahn-Anschluss. Parallel werde Bau und Planung der neuen U-Bahn-Linie U5 vorangetrieben. Dort sollen alle Beschleunigungspotenziale geprüft und umgesetzt werden.

Etwas unverbindlicher bleibt es bei der Linie S6 zum Osdorfer Born. Die Linie werde weiter geplant und es werde alles dafür getan, die dafür nötigen Bundesmittel zu erhalten. – Gut ein Jahrzehnt nach Beginn der Planungen für einen Schienenanschluss Osdorfs und der Science City Bahrenfeld sind leider immer noch kaum Fortschritte zu erkennen…

Das S-Bahnnetz wird in den nächsten Jahren für eine Kapazitätssteigerung von mehr als 30 Prozent fit gemacht: Netz und Fahrzeuge sollen digitalisiert werden. Mit dem Bund soll die Umsetzung des Digitalen Stellwerks (DSTW) City vorangetrieben werden. Dazu kommen zusätzliche Weichen, Abstellanlagen und Maßnahmen an Bahnsteigen. Der Prozess zur Neubeschaffung von Neufahrzeugen für den nächsten S-Bahn-Verkehrsvertrag soll gestartet werden. Besonders sollen die Korridore nach Bergedorf (S2) und Harburg (S3, S5, S6) profitieren: Der 5 Minuten-Takt der Linie S2 soll verlängert werden und das Netz ertüchtigt werden, um mit aus 9 Wagen bestehenden Langzügen fahren zu können. Die Strecke nach Harburg soll modernisiert werden. Auf der S1 soll geprüft werden, bisher eingleisige Abschnitte zweigleisig auszubauen, um einen ganztägigen 10 Minuten-Takt bis Wedel zu ermöglichen.

Mit Schleswig-Holstein werde weiter geprüft, auf Teilen der Güterumgehungsbahn Schienenpersonenverkehr zu ermöglichen. Während der Legislaturperiode soll außerdem geprüft werden, wie die Schnellbahnen in Hamburg weiter ausgebaut werden können. Bis 2029 sollen alle U- und S-Bahnhalte in Hamburg mit Ausnahme der neu zu bauenden Haltestelle Sternschanze barrierefrei erreichbar sein. Auch Bushaltestellen sollen weiter barrierefrei ausgebaut werden. Über digitale Lösungen soll der Zugang zum ÖPNV nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip“ ausgebaut werden.

Auch der ÖPNV auf der Straße soll gefördert werden: Es sollen weiterhin nur emissionsfreie Busse angeschafft werden. Gleichzeitig soll die Busflotte betriebswirtschaftlich optimiert werden, wobei im Koalitionsvertrag auf Bundesebene angekündigte Förderungen mit einbezogen werden sollen. Als Teil der Weiterentwicklung des Hamburg-Taktes soll eine grundlegende strategische Überplanung des Hamburger Busnetzes vorgenommen werden. Bei der Entwicklung von Magistralen sollen intelligente Busführungskonzepte geprüft werden, wie z.B. die Erprobung von Fahr- und Busspuren in Wechselrichtung oder die Einrichtung von Busspuren in Kombination mit Carpool-Lanes.

Perspektivisch sollen weitere Busse und Buslinien die steigende Nachfrage bedienen: Die Linie X22 soll verlängert werden und die Einführung einer Expressbuslinie X39 im Hamburger Westen ins Auge gefasst werden. Dort, wo die Kapazität von Metrobus- und Expressbuslinien auch nach Umsetzung des Hamburg-Taktes nicht ausreicht, solle auch geprüft werden, welches Verkehrsmittel stattdessen zum Einsatz kommen kann. Für die „letzte Meile“ sollen – sobald verfügbar – autonome Shuttles in den Außenbezirken zum Einsatz kommen.

Der Koalitionsvertrag bezeichnet das Deutschlandticket als „historische Neuausrichtung des öffentlichen Nahverkehrs“. Man wolle sich auf Bundesebene und im Länderkreis für die Verstetigung des Tickets zu einem bezahlbaren Preis einsetzen. In Hamburg wurde das Zeitkartenangebot zur Einführung des Deutschlandtickets stark vereinfacht. Die Hamburgerinnen und Hamburger würden von einer Entlastung von rund 300 Millionen Euro jährlich profitieren. Für Seniorinnen und Senioren solle eine vergünstigte Möglichkeit geschaffen werden, den ÖPNV zu nutzen. Das Azubiticket, Semesterticket und der Sozialrabatt sollen fortgeführt werden und keine Preissteigerungen erfahren, die über die Anpassungen des Deutschlandtickets hinausgehen.

die hvv switch-App soll als zentrale Mobilitätsplattform ausgebaut werden. Mit Berlin wird eine zentrale App für beide Städte/Regionen auf den Weg gebracht, weitere Regionen sollen sich anschließen.

Die analoge, bargeldlose Nutzung von Bus, Bahn und Fähre soll vereinfacht werden. Neben der hvv Prepaid Card solle auch ein direkter Zugang mit EC- und Kreditkarte möglich werden.

Eisenbahnknoten Hamburg: Neue Brücken, aber kein neuer Tunnel?

Für den überregionalen Schienenverkehr werde der Eisenbahnknoten Hamburg weiterhin zukunftsfähig, resilient und bedarfsgerecht ausgebaut. Der Ausbau des Hamburger Hauptbahnhofs und der Neubau des Bahnhofs Altona am Diebsteich solle in Zusammenarbeit mit dem Bund weiter vorangetrieben werden.

Hamburg werde sich weiter beim Bund mit großer Priorität für die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel einsetzen, um zügig und zukunftsfähig Ersatzneubauten an den Norder- und Süderelbbrücken zu realisieren. Dabei solle auch eine Kapazitätserweiterung mitgedacht werden, um künftigen Verkehrsprognosen gerecht zu werden. Um einen schnellen und nachhaltigen Bau zu gewährleisten solle eine Montagefläche in der Nähe der Brücken eingerichtet werden, um die Brückensegmente vor Ort vormontieren zu können. Außerdem soll geprüft werden, wo zusätzliche Bahnhöfe für den Regionalverkehr geschaffen werden könnten, z.B. am Berliner Tor.

Bereits im Rahmen der Planungen zum Deutschlandtakt und seiner aktuellen Fortschreibung sei die Notwendigkeit eines Infrastrukturausbaus im Eisenbahnknoten Hamburg festgestellt worden. Die Koalitionäre wollen sich dafür einsetzen, dass der Bund zeitnah eine Studie zum gesamten Bundesschienenwegeknoten Hamburg beauftragt, um umfassend wirtschaftlich tragfähige Lösungen zu aktuellen und künftigen Herausforderungen aufzuzeigen. Auch der Schienengüterverkehr solle angemessen berücksichtigt werden. Man wolle sich für die Neubaustrecke zwischen Hamburg und Hannover einsetzen und die Sanierung der Hochleistungskorridore durch die Bahn unterstützen.

Anmerkung: Bei so vielen Bundesprojekten fehlt eines: Der Verbindungsbahnentlastungstunnel. Eine für Ende 2024 angekündigte Entscheidung zwischen den beiden näher betrachteten Vorzugsvarianten blieb aus, die Finanzierung wäre zudem weiter offen. Der bisherige und auch künftige Verkehrssenator Anjes Tjarks (GRÜNE) machte nicht nur einmal deutlich: Er sieht den Bund in der Verantwortung. Ob der milliardenteure Tunnel mit geschätzt 11 Jahren Bauzeit kommt, oder doch günstigere und schnellere Alternativen? Es scheint nicht genau festzustehen…

Verbesserungen auch auf der Straße

Im Rahmen der Straßensanierung wollen die Koalitionspartner die Vernetzung zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur und die Digitalisierung der Ampelanlagen ausbauen. So sollen Busse und Einsatzfahrzeuge besser priorisiert werden. Helfen soll dabei ein digitales, übergeordnetes Verkehrsmanagementsystem.

Daneben soll es ein grundsätzliches Moratorium für den Abbau von Parkplätzen im öffentlichen Raum geben. Im Einzelfällen soll bis zur Fertigstellung eines Masterplans Parken dennoch ein Parkplatzabbau möglich sein – und zwar nur in Einzelfällen, wenn es der Mobilitätswende dient: Etwa für Switch-Punkte, eScooter-Abstellflächen, Bushaltestellen oder Fahrradstellplätze. Dies gilt aber nur, wenn sich die Inanspruchnahme von Parkraum nach sorgfältiger Prüfung und Beschluss der Senatskommission für Klimaschutz und Mobilitätswende als unvermeidbar herausstellt. Die Hürden dürften damit hoch sein.

An den künftigen S-Bahn-Stationen Tonndorf und Hörgensweg soll die Errichtung von P+R-Standorten geprüft werden, ebenso die Erweiterung der Kapazitäten der bestehenden Standorte am S-Bahnhof Bergedorf, Veddel und U-Bahnhof Niendorf Markt.

Ein kleines Fazit

Insgesamt enthält der Koalitionsvertrag im Bereich Nahverkehr wohl eher keine Überraschungen. Im Wesentlich sollen laufende Projekte fortgeführt werden. Der (jedenfalls teilweise weitere) zweigleisige Ausbau der S1 nach Wedel wurde in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert. Mit der verkehrsmittelneutralen Untersuchung von Kapazitätsausbauten scheint der neue Senat seine zuletzt immer ergebnisoffenere Linie weiter fortzuführen. Nach einem klaren Nein zu Straßenbahnen („altmodische Stahlungetüme“ – Peter Tschentscher, SPD, 2022) klingt das jedenfalls nicht mehr. Demgegenüber kehrt beim Projekt Verbindungsbahnentlastungstunnel jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr Ruhe ein – ob jahrelange Betriebsunterbrechungen des S-Bahnverkehrs direkt am Hauptbahnhof damit vielleicht doch nicht hinnehmbar sind?

Der Koalitionsvertrag ist bei den GRÜNEN im Volltext veröffentlicht.