Blick in die Zukunft: S-Bahn Hamburg im Wandel

Die Hamburger S-Bahn steht vor einem Wandel: Eine neue Stammstrecke, zwei neue Linien, zusätzliche Fahrzeuge und die Digitalisierung stehen an. Kay-Uwe Arnecke, Geschäftsführer der S-Bahn Hamburg, gab im Abendblatt einen kleinen Ausblick auf die nähere Zeit, den wir um die aktuellen Entwicklungen der Langfristprojekte ergänzen.

Eine neue S-Bahn-Stammstrecke für Hamburg

Bereits seit vergangener Woche steht fest: Das Projekt mit dem eingängigen Namen „Verbindungsbahnentlastungstunnel“ – kurz „VET“ – soll ein S-Bahn-Projekt werden. Erstmals Ende 2019 vom damaligen Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) ins Gespräch gebracht soll ein weiterer Tunnel vom Hauptbahnhof zum neuen Altonaer Bahnhof am Diebsteich gebaut werden. Nun fiel die erwartbare Systementscheidung pro S-Bahn: Ihr Tunnelprofil ist kleiner, sodass der Bau günstiger ausfällt. Außerdem können die nötigen Rampenanlagen steiler ausgeführt werden – und sind somit kompakter. Inmitten der Innenstadt ein großer Vorteil – ein Fernbahntunnel hätte schon weit vor dem Hauptbahnhof beginnen müssen. Die heutigen S-Bahn-Gleise auf der Verbindungsbahn sollen dann künftig durch den Regional- und Fernverkehr genutzt werden. Offen ist hierbei neben dem konkreten Zeitplan die Weiternutzung der bestehenden S-Bahnhöfe, genauso wie die Position der neuen S-Bahnhöfe im VET – entsprechend fehlen sie noch auf der aktuellen Übersichtsgrafik:

Möglicher Verlauf des Verbindungsbahnentlastungstunnels, Planungsstand Sommer 2021 – Quelle: Bauinfoportal DB / DB Netz AG

Das Vorhaben ist im Bedarfsplan für Bundesschienenwege mit höchster Dringlichkeit enthalten, veranschlagt werden derzeit 2,66 Milliarden Euro. Die Machbarkeitsuntersuchung für die rund sechs Kilometer lange Strecke soll erst im kommenden Jahr abgeschlossen sein; aktuell werden noch drei Varianten untersucht. Sicher ist: Einfach wird die Planung nicht, muss doch noch das Projekt S-Bahn zum Osdorfer Born hinsichtlich der Ausfädelung zusätzlich zum heutigen Liniennetz beachtet werden.

S-Bahn nach Osdorf und Kaltenkirchen: Weiter nichts Neues

Still ruht der See um das Projekt „S-Bahn zum Osdorfer Born“. Während die HOCHBAHN öffentlichkeitswirksam ihre neue Linie U5 plant, ist rund um die S-Bahn zum Osdorfer Born bis heute fast nichts konkretes bekannt. Die größte Aufgabe dürfte hier die Anbindung ans Bestandsnetz sein – die vor nötigen Weichenstellungen beim VET wohl kaum gelöst werden dürfte. Immerhin im Hintergrund scheinen Untersuchungen und Gutachten zu laufen, insbesondere für die Trassierung im Bereich des DESY mit seinen sensiblen technischen Anlagen.

Ebenfalls unter dem Radar läuft das Neubauprojekt „S-Bahn nach Kaltenkirchen“. Während seit Dezember 2018 der Planfeststellungsbeschluss für den Hamburger Streckenabschnitt vorliegt, fehlt der Pendant aus Schleswig-Holstein noch. Das lag zuletzt an Planänderungen, die zu einer weiteren Online-Konsultation der Beteiligten im vergangenen Jahr führte.

Aktuelles von der S4 und dem Bahnhof Ottensen

Weniger still ruht der See um den Bau der neuen Linie S4 nach Bad Oldesloe. Zwar liegt weiterhin nur der Planfeststellungsbeschluss für den ersten Abschnitt bis zur Luetkensallee vor. Die letzten Klagen wurden verworfen, die ersten Ergebnisse sichtbar. Das Planfeststellungsverfahren für den zweiten Hamburger Abschnitt läuft, die Pläne für den dritten Planfeststellungsabschnitt (Schleswig-Holstein) wurden noch nicht ausgelegt – hier wird es also noch etwas dauern.

Über das Jahr 2022 verteilt werden einige Sperrungen der Linien S1/S11 im Bereich Hasselbrook, aber z.T. auch darüber hinaus, nötig werden. Den Anfang macht eine neuntägige Betriebsunterbrechung über die Hamburger Märzferien. Im Dezember 2021 wurde der Regionalbahnhof Wandsbek (RB 81) geschlossen, um Platz für die S4 zu machen. Aktuell stehen Rodungs- und Abrissarbeiten sowie Kampfmittelsondierungen an. Einen aktuellen Blick auf das Baugeschehen werfen wir in Kürze bei einem neuen Eintrag ins Bautagebuch der S4.

Ebenfalls für einige Betriebsunterbrechungen wird im Jahr 2022 der neue Bahnhof Ottensen an der Linie S1/S11 sorgen. Seine für August geplante Eröffnung wurde kürzlich auf Dezember 2022 verschoben. Bislang steht nur eine Bahnsteigkante. Nach einem monatelangen Stillstand auf der Baustelle, bedingt durch unerwartete Probleme mit einer Brücke, laufen die Arbeiten nun wieder an.

„Die Zukunft“: Digitale S-Bahn startet im März

Blicken wir auf die näheren Zukunft: Kay-Uwe Arnecke gab im Abendblatt-Interview bekannt, dass der digitale S-Bahn-Betrieb mit „ATO over ETCS“, also dem automatisierten Betrieb über das neue europäische Zugsicherungssystem ETCS, welches im Rahmen des ITS-Weltkongresses im Oktober vorgestellt wurde, voraussichtlich im März 2022 starten werde. Die Züge sollen zunächst zwischen Altona und Bergedorf zum Einsatz kommen, mit anderen Worten auf der Linie S2 und erst einmal nicht auf der Linie S21. Pandemiebedingt sei es bei der Personalausbildung zu Verzögerungen gekommen, sodass die Züge nicht wie geplant im Dezember 2021 auf Strecke gehen konnten.

Erstmals wurde er in Sachen Nachrüstung der Bestandsfahrzeuge konkreter: Alle 190 heute noch nicht mit ATO over ETCS ausgerüsteten Fahrzeuge sollen schrittweise die digitale Technik nachgerüstet bekommen. Die 64 nachbestellten Fahrzeuge der Baureihe 490 werden diese bereits ab Werk erhalten. Laut der Machbarkeitsstudie sind Investitionen in Höhe von rund 800 Millionen Euro für die Digitalisierung der S-Bahn nötig, wovon 620 Millionen Euro auf die Infrastruktur entfallen. Diesen Betrag müsste der Bund übernehmen. Arnecke bezeichnet die digitale S-Bahn als „die Zukunft“, mit der auf der vorhandenen Infrastruktur bis zu 30% mehr Züge fahren könnten.

Einen etwas langfristigeren Ausblick ermöglicht die im Oktober vorgestellte und nun veröffentlichte Machbarkeitsuntersuchung. Sie legt nahe, einen Rollout von ETCS Level 2 mit GSM-R als Grundlage vom Norden der S1 aus vorzunehmen. Der Streckenabschnitt Ohlsdorf – Poppenbüttel könne der Studie nach ab 2025 als Teststrecke zur Verfügung stehen. Von dort aus würden zunächst die Strecken von Hasselbrook zum Flughafen und nach Poppenbüttel mit ETCS ausgerüstet. Für die Ausstattung der Fahrzeuge, die bis zur Inbetriebnahme des neuen DSTW City Ende der 2020er-Jahre abgeschlossen sein soll, werden pro Baureihe 36 Monate veranschlagt – bei paralleler Umrüstung beider Baureihen. Ein sinnvoller Ausgangspunkt sei die Baureihe 474.2, da von ihr bereits vier Fahrzeuge umgerüstet wurden. Während des Serienumbaus der 2. Bauserie der ET 474 könnten Erprobungsträger der übrigen Bauserien umgerüstet und zugelassen werden.

Ebenfalls im Frühjahr dürfte auch der Sensors4Rail-Probezug 472 061 zurückkehren: Neben dem in Aufarbeitung befindlichen Museumszug 472 062 dürfte Triebzug 261 der einzige Zug „mit Perspektive“ sein. Bis zu seinem Fristablauf im kommenden Jahr will man nach der Kartographierung der ITS-Strecke Berliner Tor – Aumühle nun auch die anderen Strecken mittels der neuartigen Technologien erfassen.

Dritte Linie für Harburg kommt

Mehr Züge ist auch ein gutes Stichwort für das nächste Projekt der S-Bahn: Die neue Linie S32 nach Harburg soll kommen. Das wurde schon mehrfach versprochen – es geht aber nicht sofort: Erst Mitte der 2020er-Jahre ist mit dem Start der zusätzlichen Linie zwischen Elbgaustraße und Neugraben(!) zu rechnen. Bislang war nur von einer Führung bis Harburg Rathaus die Rede. Für die Taktverdichtungen wird derzeit ein neues Stellwerk im Bereich Harburg geplant. Neben Investitionen in die Signaltechnik braucht es aber auch einiges an zusätzlichem Personal für die neuen Linien S32 und S4…

Rückblick auf 2021: S-Bahn erreicht Pünktlichkeitsziel

Gute Nachrichten gebe es auch für das Jahr 2021: Die Baureihe 490, welche auch in ihrem vierten Betriebsjahr mit Kinderkrankheiten zu kämpfen hatte, habe sich deutlich im Betrieb stabilisiert. Die Pünktlichkeitsquote (sog. 3 Minuten-Pünktlichkeit) betrug im Jahr 2021 94,6%, damit wurde das 94%-Ziel des hvv erreicht. Einen nicht ganz unwesentlichen Anteil dürfte hierbei auch die niedrigere Fahrgastzahl haben, statt 250 Millionen Fahrgästen im Jahr 2019 waren es im vergangenen Jahr nur 150 Millionen. Die Störungsursachen hätten sich aber auch verändert: Die Zahl der Polizei- und Rettungswageneinsätze habe im vergangenen Jahr weiter zugenommen.